Hungertuch „Wie viele Brote habt ihr?“ von Ejti Stih
Eine Frage: Eine alltägliche Frage ist es, die Jesus seinen Freunden stellt: Wie viele Brote habt ihr? Tausende von Männern, Frauen und Kindern umringen ihn seit Stunden, um ihm zuzuhören. Nun sind sie hungrig. Wir kennen die Geschichte vom Brotwunder gut, alle Evangelisten erzählen sie.
Heute hungern ungefähr 840 Millionen Menschen tagelang, oft sogar monatelang. Ein Skandal angesichts der Tatsache, dass trotz steigender Weltbevölkerung niemand hungern müsste. Der Kampf gegen den Hunger bleibt weiter eines der zentralen Anliegen, für das MISEREOR sich in zahlreichen Projekten in Afrika, Asien, Lateinamerika und auf politischer Ebene intensiv einsetzt.
Vier Tische und ein Kreuz: Die Szenen des Hungertuches, symmetrisch gegliedert und verbunden durch das leuchtend-gelbe Kreuz als Zeichen von Leiden und Auferstehung Christi, beziehen sich auf die biblischen Texte von der Brotvermehrung (Mk 6), vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16), vom letzten Abendmahl (Lk 22) und auf die Verheißung der Fülle des Lebens in den Versen Joh 10,10.
Er brach das Brot – rechts oben sind es die Armen aller Nationen, die von Christus zum letzten Abendmahl geladen werden: die Behinderten und Kranken, die Kinder und ihre Mütter, die Armen und Ausgegrenzten. Die Fußwaschung als spiritueller Zugang zur Eucharistie ist von der Künstlerin mit in diese Szene hineingenommen worden:
Wie das Abendmahl ein Liebesmahl ist, so erweist der fürsorglich Waschende im Hinunterbeugen einen Liebesdienst.
Ein Armer namens Lazarus – links unten sind es Mächtige, Militärs, Vertreter und Vertreterinnen eines Wirtschaftssystems, das nicht die Bedürfnisse der Menschen im Blick hat, sondern die Maximierung des Gewinns. Der Versammlungs- Tisch wird zu einer trennenden Barriere zwischen Macht und Ohnmacht. Die vielen emporgereckten Hände strecken sich, um wenigstens das Weggeworfene zu greifen. Hunger und Entbehrung auf der einen, Überfluss und Verschwendung auf der anderen Seite: Diese Gleichzeitigkeit spaltet die Gesellschaft. Mich erbarmt des Volkes – links oben sind es die hungernden Menschen und das Kind, die das Wenige, das sie haben, zusammentragen und das Wunder erleben, dass durch Teilen alle gesättigt werden. Die Künstlerin stellt die Szene aus Jesu Blickwinkel der Liebe dar: ER schaut auf die hungrigen Menschen und erbarmt sich ihrer – optisch unterstrichen durch den hellen Widerschein, der von vorne auf Tisch und Kind fällt.
MISEREOR super turbam: „Mich erbarmt des Volkes“ (Mk 6,34) – mit diesen Worten umschreibt Jesus seine Sendung, die ihn zu den Menschen geführt hat. Er beginnt, das Brot zu teilen und steckt damit die Menschen an, es ihm gleichzutun.
Das Leben schmecken – rechts unten sind es Kinder, die ihre Beine von dem Tisch baumeln lassen, der in der linken Szene noch gewaltsam errichtete Barriere war. Ihre Hände umfassen gefüllte Schüsseln. Sie haben sich ihren Platz genommen.
Der Tisch ist wieder zum Tisch für alle geworden. Niemand muss um Nahrung betteln, niemand wird abgespeist.
Wie viele Brote habt ihr? Jesu Vision von einer gerechten
und solidarischen Welt beginnt hier bei uns: Wie viele Brote habt ihr? fragt das Hungertuch. Veränderung beginnt mit einer Frage.
Das MISEREOR-Hungertuch kann diese Suche anstoßen und unser Engagement für die Eine-Welt begleiten.
Text: Misereor